Zum Inhalt springen

Tonhalle

Pavillon und Konzertsäle

«Tägliche Concerte. Restauration» – Das vielfältige Angebot in der Tonhalle

Sind U- und E-Musik ein Gegensatz im Konzerthaus? Seit Gründung der Tonhalle-Gesellschaft lautet die Zürcher Antwort «Nein». Der 1895 gebaute Pavillon der Tonhalle sollte sich zum Anziehungspunkt für Unterhaltungskonzerte und unterschiedlichste gesellige Anlässe entwickeln.

Besucher*innen, die sich 1896 auf dem Alpenquai der Tonhalle näherten, sahen an der Gartenseite ein grosses Schild «Täglich Concerte. Restauration»: Der Ort lockte mit viel Musik und Gastronomie. Schon die erste Tonhalle am Sechseläutenplatz hatte seeseitig einen Pavillon mit Palmengarten besessen. Die Neue Tonhalle wurde von Anfang an mit zwei Bereichen geplant, Pavillon (nebst Garten) und Konzerthaus (mit einem grossen und einem kleinen Saal). Nach einem längeren Wettbewerb, in dem seit den frühen Entwürfen (Bruno Schmitz 1887) deutliche Anlehnungen an den Pariser Palais du Trocadéro – einem für die Weltausstellung 1878 erbauten Mehrzweck-Unterhaltungskomplex – zu erkennen waren, wurde schliesslich das Projekt des Wiener Büros Fellner & Helmer für knapp 1.85 Mio. Fr. gebaut. Der Pavillon besass im Innern eine kleine Bühne, auf der Aussenseite gab es eine Musiknische zum Garten, vor der Platz für Tische und Stühle war. Pavillon und Konzertsäle lagen auf der gleichen Ebene, so dass sie für grosse Feste leicht gemeinsam genutzt werden konnten.

Die Gartenseite der Neuen Tonhalle Die Gartenseite der Neuen Tonhalle Baugeschichtliches Archiv, Swissair: Nachweis dummy
«finden im sogenannten ‹Pavillon› alle Abende Unterhaltungskonzerte statt. […] Als Unterhaltungslokal, in dem man von einem in dunkelbrauner Livree steckenden Kellner […] sein Glas Pilsner erhält, ist es allerdings hoch elegant, oder, wie man zu sagen pflegt, ‹pik fein› ausgestattet, aber der Gemütlichkeit scheint der Eintritt in diesen geheiligten Raum, darin man nach Schluß der Abonnementskonzerte feierlich soupieren kann, verboten zu sein.» (Der Bund, 12. Dezember 1895, A. Beetschen)

Der Alpenquai als neues Kulturzentrum

Der Pavillon mit kleiner Musikbühne Der Pavillon mit kleiner Musikbühne Baugeschichtliches Archiv: Nachweis (Public Domain)

Die Kombination unterschiedlicher Kulturangebote prägte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts insgesamt die Zürcher Diskussionen, wo sich ein kulturelles Zentrum in der Stadt entwickeln sollte: Für den Sechseläutenplatz gab es einen Entwurf, Theater, Tonhalle, Klubhaus, Musikschule und Wohnhäuser am Sechsläutenplatz vereinigen sollte. Der heutige Standort der Tonhalle war hingegen noch ein städtebauliches Entwicklungsgebiet, denn die Quais waren erst ab den 1880er Jahren gebaut worden. Zur Eröffnung 1895 fehlten noch eine bequeme Tramverbindung zum Bellevue oder Brücken über den Schanzengraben. Umso wichtiger war es, das Publikum an den neuen Standort zu locken.

Die Eröffnungstage 1895 zogen bereits alle Register: Nach der Einweihungszeremonie (mit einer Kantate Hegars) gab es zwei Konzerte, eines mit Johannes Brahms als Gastdirigent, das zweite mit Joseph Joachim als Solisten und zwei Zürcher Chören – an beiden Tagen erklang mittags ein Unterhaltungskonzert einer Regimentskapelle aus Konstanz, ab 8 Uhr wurde jeweils «Abendunterhaltung» im Pavillon versprochen.

Künstlerische und wirtschaftliche Interessen

Entsprechend fächerte sich das Konzertangebot auf: Abonnementskonzerte wechselten mit Gastauftritten und den regelmässigen Unterhaltungskonzerten, die einen Grossteil der Einnahmen beitrugen. Die umfangreichen Aufgaben verlangten gerade für die Unterhaltungsmusik ein zweites, kleineres Orchester, zumal das Tonhalle-Orchester besonders im Winter durch Dienste im Opernhaus stark beansprucht wurde. Zeitweise engagierte man auch andere Ensembles, so spielte beim Maskenball 1898 in 48-köpfiger Stärke wieder die Konstanzer Kapelle, in anderen Jahren die Kapelle Muth, die auch im Belvoir-Park auftrat. In den ersten Jahren der Neuen Tonhalle gab ein Streichquartett aus Orchestermitgliedern regelmässig Soireen – allerdings mit sehr schwankendem Zulauf. Das Orchester arbeitete ausserdem regelmässig mit den grossen Chören der Stadt zusammen. Die Allgemeine-Musikgesellschaft war Mitveranstalterin der Orchesterkonzerte.

Dazu kamen häufige Nutzungen durch andere Gesellschaften, die natürlich Einnahmen brachten. Zahlreiche Vereine hielten Versammlungen in der Tonhalle ab, die tonangebende literarische-künstlerische Gesellschaft, der «Lesezirkel Hottingen», veranstaltete aufwendige Künstlerfeste. Ab den 1920er Jahren zeugen Zeitungsannoncen von einer Ausweitung der Nutzung des Pavillons. So diente er auch externen Institutionen als Ballsaal oder als Auftrittsort vieler nationaler und internationaler Orchester, Solistinnen und Varietékünstlerinnen – und zuweilen wurde er gar zu einer Indoor-Rollschuhbahn umfunktioniert.

Der Pavillon, maritim dekoriert (1907) Der Pavillon, maritim dekoriert (1907) Baugeschichtliches Archiv, Adolf Moser: Nachweis (Public Domain)

Die Programme der Abonnementskonzerte waren in den 1890ern ähnlich gemischt wie bei der AMG 60 Jahre früher: Symphonie, Arie, Solokonzert und Chorwerk konnten aufeinanderfolgen. Dies bot (so Kapellmeister Hegar) für regelmässige Besucher «einen Überblick über verschiedene Bereiche musikalischen Schaffens». Diese Konzerte dauerten allerdings sehr lange. Als kürzeres und billigeres Angebot, aber mit vergleichbaren Werken, wurden zusätzlich ab 1897 «populäre Symphonie-Konzerte» angeboten, die üblicherweise aus der Kombination Symphonie-Solokonzert-Ouvertüre bestanden. Besonders erfolgreich waren darunter Porträt-Serien einzelner Komponisten.

Noch einmal 10 Jahre später erprobte man «Volks-Symphoniekonzerte», um «die Werke der Grössten auch den weitesten Kreisen zugänglich zu machen» - bei einem Eintritt von 50 Rappen: Diese Öffnung fällt in die Jahre, in denen in der Zürcher Politik die Sozialdemokratie erstarkte, die neue Serie konnte sich aber – in Konkurrenz zu anderen Volksbildungsangeboten – nicht lange etablieren.

So ungewohnt es von heute aus betrachtet auf den ersten Blick wirken mag, wenn ein renommiertes Orchester auf Unterhaltungsmusik angewiesen ist, um sich tragen zu können, so waren an beiden Standorten der Tonhalle die verschiedenen Musiksparten, formelle Konzerte und Geselligkeit mit Musik, stets miteinander verquickt.