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Hirschengraben 20

Aufstieg der Klaviere

Die immer grösser werdende Popularität des Klaviers im 19. Jahrhundert

Spielen Sie Klavier? Falls ja, sind Sie in bester Gesellschaft, denn das Klavier ist laut dem Verband Musikschulen Schweiz (VMS) heutzutage das am meisten gespielte Instrument. War das aber immer so?

An auf dem ersten Blick vielleicht überraschender Stelle, nämlich im Berufsteil zweier Adressbücher der Stadt Zürich (1867 und 1899), lässt sich die immer grösser werdende Popularität des Klavieres in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gut sehen, wenn man die Klavierfabrikanten, -händler und -stimmer im Vergleich mit anderen Instrumentenhändlern betrachtet.

Bessere Bildung und mehr Bevölkerung

Verbreitung der Instrumentenhandel-Unternehmen im Jahr 1867 in der Stadt Zürich Verbreitung der Instrumentenhandel-Unternehmen im Jahr 1867 in der Stadt Zürich Schweizerische Eidgenossenschaft: Nachweis dummy

Wir befinden uns hier in einer Zeit, in der sich nicht nur die Schulbildung verbesserte (1874 wurde die allgemeine Schulpflicht in der Schweiz eingeführt) – womit auch eine umfassendere Musikbildung bewerkstelligt werden konnte –, sondern auch die Stadt Zürich wuchs. So wurden 1893 die Aussenbezirke in die Stadt eingemeindet. Da die Bevölkerungszahl zunahm, war die Nachfrage nach Musikinstrumenten auch grösser und die Anbieter von Musikinstrumenten und musikspezifischen Dienstleistungen konnten sich besser etablieren. Anhand der zwei folgenden Karten erkennt man sehr gut die geographische Ausbreitung der verschiedenen Unternehmen (rote Punkte) im Verlauf der 32 Jahre von 1867 bis 1899.

Verbreitung der Instrumentenhandel-Unternehmen im Jahr 1899 in der Stadt Zürich Verbreitung der Instrumentenhandel-Unternehmen im Jahr 1899 in der Stadt Zürich Schweizerische Eidgenossenschaft: Nachweis dummy

Mehr Klavierstimmer und weniger Fabrikanten

Verschiedene Tätigkeitsbereiche

Im Jahr 1867

Im Jahr 1899

Die Diagramme zeigen die verschiedenen Tätigkeitsbereiche im Instrumentenbau und -handel in Zürich 1867 und 1899. Die Bezeichnungen sind direkt aus den Adressbüchern entnommen, deshalb entsprechen sie sich nicht immer (z.B. Pianofortefabrikation und Klavierfabrikant).

Eine interessante Beobachtung ist auch der Aufschwung der Klavierstimmer (1867 machten es 5% der Tätigkeitsbereiche im allgemeinen Instrumentenhandel aus, 1899 waren es 31%). Worauf deuten diese Veränderungen aber hin? Mehr Klaviere wurden gekauft – weil es ein beliebtes Hausmusikinstrument war und die Bewohner der neu zur Stadt gehörenden Quartiere die Nachfrage stärkten. Wenn es mehr Klaviere hatte, brauchte es auch mehr Klavierstimmer, die für den Erhalt der Tonqualität sorgten. Im Gegensatz dazu nahm die Zahl der Klavierfabrikanten allerdings ab: 1867 wurden in der Stadt neun Klavierbauer verzeichnet, 32 Jahre später jedoch lediglich fünf. Warum?

Klavierhandel in Zahlen

Die Anzahl der Klavierbauer wurde zwar kleiner, die Grösse der überlebenden Unternehmen wuchs jedoch. Dies sieht man sehr gut am Beispiel der damaligen Firma Gebrüder Hug & Co., die heute unter dem Namen Musik Hug bekannt ist. Zählt man die Klavierhändler, sprich diejenigen, die Klaviere verkauften oder vermieteten, zu den Klavierfabrikanten, die im Jahr 1867 schon zusammen unter «Pianofortefabrikation und -handel» aufgelistet waren und interessanterweise 1899 separiert wurden, machen Klavierhändler und -fabrikanten 1899 35% des Zürcher Instrumentenhandels aus, was im Gegensatz zu den 48% im Jahr 1867 einem kleineren Verhältnis entspricht. Der grösste Teil im Jahr 1899, derjenige der Klavierstimmer, erhöht den Prozentsatz aller Tätigkeitsbereiche im Zusammenhang mit dem Klavier jedoch auf ganze 66%, was eine deutliche Mehrheit des Instrumentenhandels im Allgemeinen ausmacht.

Unter Betrachtung dieser Zahlen (1867: 53% auf 1899: 66%), die einem Wachstum von 13% entsprechen, lässt sich also gut festhalten, dass das Klavier allein in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert einen bemerkenswerten Aufstieg erlebt hat. Umso bemerkenswert ist, dass die Zuneigung zu diesem Tasteninstrument bei der Bevölkerung bis heute angehalten hat. Hoffen wir, das möge noch lange anhalten.